Wenige Wochen vergingen nach dem ersten Besuch meiner Schwester an der versteckten Senke am Rand des Dschungels, da tauchte sie noch einmal auf. Bei diesem Wiedertreffen strahlte ihr ganzes Wesen eine „Freude am lebendigen Sein“ aus. Ihr gesamter Ausdruck verdeutlichte, wie befreit sie ihr Leben genoss. Darüber freute ich mich sehr. Mit ihrem übersprudelnden Temperament bewegte sie mich, ihr zu folgen. Andererseits beabsichtigte mein Inneres ganz klar, in meiner Mulde zu bleiben. Da ich sie jedoch weder enttäuschen noch lieblos und abweisend behandeln wollte, liefen wir zielstrebig los und gelangten weiter in den inneren Teil der Insel. Die Vegetation verdichtete sich mehr und mehr zu einem undurchdringlichen Dschungel, wo menschliches Leben kaum noch zu erwarten war. Doch dann lichtete sich das Dickicht auf einmal und gab die Sicht auf eine kleine Menschenmenge frei, die in kärglichen Astrundbauten hauste. Alle waren nackt, so dass mein Blick gleich auf ihrer dunklen Haut landete, unter der sich jede Rippe abzeichnete. Unbekümmert sprangen zwischen diesen ausgehungerten Gestalten unzählige Kinder herum. Der Nachwuchs sprudelte vor Lebensfreude und meine Schwester stürmte direkt in das Getümmel hinein, um als einziger weißer Punkt in ihrem Reigen herum zu hüpfen. Trotz der hervorquellenden Hungerbäuche und der eingefallenen Augen strahlten sie pure Freude aus! Die Schar brauchte keinen Grund und auch keine Mittel, um glücklich zu sein. Es reichte ihnen aus, das Leben mit der Freude ihres Wesens ausdrücken zu dürfen. Sie strahlten reine Lebendigkeit aus, die ungebunden und frei den Moment feierte, ohne sich um den nächsten Tag zu sorgen. Ein Gefühl der Dankbarkeit kam in mir auf, dass meine Schwester bei ihnen ein glückliches Zuhause gefunden hatte. Wie absurd es klingen mag, aber für ihr quirliges Wesen bedeutete es viel, frei und unbeschwert leben zu dürfen. Und genau das bot ihr dieses Umfeld.
Etwas rief mich zur Sandmulde zurück. Als ich mich unbemerkt davon schleichen wollte, eilte die Kleine zu mir und zog mich sanft an der Hand. Ohne ein Wort war ihre fürsorgliche Geste gleich für mich klar. Sie wollte, dass ich blieb. Dankbar ließ ich meinen Blick durch die freundliche Menschenmenge schweifen, um mich von ihnen zu verabschieden. Das Verlangen, zu meiner Passion zurückzukehren, bedeutete mir viel mehr, als mich unter ihnen in Sicherheit zu wiegen. Was auch immer in meinem nicht-seienden Zustand vor sich ging, es lohnte sich, jede Sekunde meines Daseins dafür hinzugeben. Zudem sah ich die Not dieser Menschen. Das Wenige, das sie besaßen, reichte kaum für ihr eigenes Überleben und davon wollte ich nichts annehmen. Genau genommen brauchte ich überhaupt nichts. Obwohl mein Schicksal ungewiss war, brachte ich es nicht über das Herz, mich diesen wunderbaren Menschen aufzubürden.
Ohne Umschweife kehrte ich zur Sandmulde zurück und rügte mich sogar ein wenig, dass ich wieder nicht auf mein Innerstes gehört hatte. Wie immer hatte es Recht behalten. Was hatte ich da draußen zu suchen? Physisch gesehen fühlte ich mich schon lange nicht mehr zum Weltlichen gehörig. Unverzüglich kehrte ich in die unendliche Präsenz zurück, entschlossen, sie nicht mehr zu verlassen, bis ein ausschlaggebender Impuls danach verlangen würde.
Der Impuls ließ auf sich warten. Weitere fünf Monate blieb ich ununterbrochen in der Versenkung, in der es keinerlei Bedürfnis zu befriedigen gab. Nicht ein einziges Mal kehrte ich in die physische Welt zurück. Meine Augen blieben für die Welt der Erscheinungen dauerhaft geschlossen. Meine Schwester tauchte auch nicht mehr zwischen den Büschen auf. Abgesehen von dieser kleinen Unterbrechung sah ich für ganze neun Monate keine Menschenseele. Außer der Kleinen kannte niemand mein Versteck und es käme einem Wunder gleich, wenn jemand versehentlich darüber stolpern sollte. Doch niemals empfand ich mich dort verloren oder allein gelassen. Das „All-Leben“ war in mir und um mich herum. Es gab für mein Herz einfach nichts Schöneres, als mich dem im vollem Vertrauen hinzugeben und mich darin wie im Himmel zu fühlen.