Schon bald sollte ich genau diese Erfahrung in mein Bewusstsein bringen. Zuvor fühlte ich mich durch die Einsicht, die mir meine verschmorte Jacke eingebracht hatte, in meinem tiefen Vertrauen in die himmlische Führung wieder einmal bestätigt: Sie sorgte für mich. Wenig später ereignete sich jedoch eine weitere „hitzige“ Begegnung der anderen Art und ich durfte erkennen, dass sehr massive, äußere Erscheinungen zusätzlich ein bewusstes Handeln – im wahrsten Sinne des Wortes – notwendig machen. Meine Wahrnehmung wurde derart von Schmerzen überlagert, dass ein aktives Eingreifen gefordert war. Aus dem Schmerz heraus zeigte sich mir, dass diese Empfindung im „Unendlichen Raum“ keinen Bestand hatte.
Eingeleitet wurde die Erkenntnis durch meine Mutter, die Anfang Frühling vermehrt grobschlächtige Männer ins Haus brachte, die alles andere als Vertrauen erweckend wirkten. So kam es, dass sie eines Abends in Begleitung eines gewichtigen Hünen mit unzähligen Tätowierungen auftauchte. Sein Aussehen, dazu die schwarze Lederbekleidung mit den vielen Nieten und Ketten, entsprach dem Klischee eines Motorrad-Rockers. Keine Ahnung, was in dem Moment in meine Schwester gefahren war. Die Kleine sprang ausgelassen um die Erwachsenen herum und alberte mit quiekenden Geräuschen. Das machte ihr offensichtlich Spaß und sie winkte mir aufmunternd zu, in ihren Reigen zu springen. Zögerlich rückte ich näher an den Tisch und da die Großen nicht von ihren Gläsern aufsahen, fühlte ich mich eingeladen, still in der Runde teilzunehmen. Keine Minute verging und der riesige Kerl packte uns beide gleichzeitig am Genick, hob uns daran hoch und stellte prahlend seine unbändige Kraft zur Schau.
Unvorstellbarer Schmerz fuhr über meinen Nacken hinab in die Wirbelsäule. Unmittelbar fühlte ich als Schmerzexplosion im ganzen Körper, wie meine Halswirbel gequetscht und die Wirbelsäule von meinem Eigengewicht schmerzhaft auseinander gezogen wurde. Eigentlich hätten wir vor Schmerz schreien müssen, aber wir konnten mit unseren zugedrückten Hälsen nicht genug Luft holen, um damit einen Ton hervorzubringen. Vor meinen Augen begannen, unzählige Sterne zu tanzen, und ich war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Nach einer kurzen Zeit ließ der Hüne los und stieß uns grob an die nächste Wand. Wie Soldaten stellte er uns auf und gab uns den frostigen Befehl, in seiner Gegenwart die Wand aufzusuchen und uns weder zu bewegen noch Geräusche von uns zu geben. Mutter beschäftigte sich weiterhin bloß mit ihrem Glas Wein, als wäre ihr egal, was mit ihren Kindern geschah. Sie mischte sich die ganze Zeit über nicht ein, prostete dem Grobian noch aufmunternd zu und lachte dabei hämisch.
Nach diesem Zwischenfall tat mir der Hals noch wochenlang weh. Auch die Ohrläppchen brannten immer noch wie Feuer, weil sie eiterten und einfach nicht verheilen wollten. An den Wundrändern bildeten sich laufend Krusten, die immer wieder blutig aufrissen.
Der kolossale Mann kam kurz darauf ein weiteres Mal vorbei. Die beiden Erwachsenen verhielten sich aufgekratzt und Mutter wollte beweisen, dass sie die Macht besaß, mit uns alles zu tun, was sie wollte. Mit arglistigem Lachen packte sie mich demonstrativ am Kragen und zog mich höhnisch zum Kochherd. Schnurstracks wurde meine Hose herunter gezogen und die Herdplatte auf die höchste Stufe gestellt. Mit nacktem Hintern pendelte ich in ihren Armen über der Kochstelle, bis ich vor Angst fast genauso glühte wie die Platte. Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ sie mich auf die heiße Herdplatte herab. Um mich zumindest teilweise in Sicherheit zu bringen, versuchte ich noch, mit der Hüfte abzudrehen, aber es war schon zu spät. Verbranntes Fleisch stieg in meine Nase und ich hatte alle Mühe, trotz des unerträglichen Schmerzes nicht aufzuschreien. Stattdessen trug ich die Schmerzen in die Stille hinein, völlig ergeben und bereit, diese Erfahrung ohne einen Mucks zu ertragen. Brav und mit loderndem Hintern stellte ich mich danach wieder an die zugewiesene Wand.
Was für ein Jammer! Meine Ohren, der Nacken und der Po feuerten gleichzeitig wegen allem, was mir in dieser Zeit aus Boshaftigkeit von Mitmenschen angetan wurde. Um mich von diesen Empfindungen zu lösen, wendete ich die gleiche Methode an wie in der eisigen Kälte. Jetzt ging es viel schneller, da ich die Praktik bereits kannte und den Schmerz als Ganzes im Bruchteil eines Moments übergeben konnte. Das Feld war bereits zugänglich und mit meinem Eintritt ließ ich alle physischen Belange in einem Akt fallen.
Die Möglichkeit, aus diesen Leiden auszusteigen, wurde mir wenig später nach dieser Schmerzerfahrung erst so richtig bewusst. Auf einmal sah ich mich selbst in einer umfassenderen Einstellung. Das Feld lag um mich und zugleich war ich selbst das Feld. Aus dieser Perspektive zeigte sich das Schmerzgeschehen außerhalb von mir als lokaler Punkt, der buchstäblich an meinem Hintern klebte. Sofort ließ ich diese Fixierung los und die Schmerzwahrnehmung ging sogleich in das Feld über, wo sie sich sogleich in der umfassenden Präsenz auflöste.
Erstaunlich: Damals besaß ich kein ausgeprägtes „Ich“ und erfuhr daher die vergangenen Erlebnisse nicht als leidvoll. Zugeführte Schmerzen des Körpers fühlte ich zwar in ihrer ganzen Schärfe, aber nichts darüber hinaus, da sie für mich nichts Persönliches darstellten. Schmerzempfindungen tauchten nur für einen kurzen Moment auf, bis ich sie kurzum bewusst aus meiner Wahrnehmung entließ. Obwohl der Körper weiterhin Blessuren aufwies, nahm ich sie nicht mehr wahr, es sei denn, ich richtete meine Aufmerksamkeit darauf. Diese vollständige Loslösung war möglich, weil ich begriffen hatte, dass die Sinne keine Schmerzen empfinden können. Was das Schmerzgeschehen wahrnahm, empfing sie als Reize über die ausgehenden Sinnesbahnen, aber die Registrierung von Schmerz lag in der Interpretation der Wahrnehmung eines auf sich bezogenen „Ichs“. Dieses persönliche Involviert-Sein konnte in einem Moment fallen gelassen werden.
Die aus den schmerzhaften Erfahrungen gewonnene Einsicht präsentierte sich mir zugleich als Einladung, mich auch im Alltag ganz und gar im Einheitszustand einzufinden und meine Aufmerksamkeit nicht mehr durch Sinneswahrnehmungen trüben zu lassen. Statt in die Welt der Sinne zu tauchen, wählte ich von da an dauerhaft das „Eine Feld“. Mit dieser klaren Entscheidung entledigte mich von allen irdischen Empfindungen, um in den Gefühlen des Himmels zu bleiben.