Nachdem ich in Berührung zur universellen Weisheit kam, fühlte ich ununterbrochen das enorme Bedürfnis, mich immer und überall auf das universelle Prinzip einzustimmen. Je feiner mein Gespür dafür wurde, desto schöner wurde das Feld und seine Präsenz in meinem Inneren. Je stiller und selbstloser ich mich dabei verhielt, desto besser konnte ich die Weisheit vernehmen. Eigene Gefühle zu erzeugen, hätte die Schönheit der stillen Daseinsform überlagert. Bereits eine einzige, selbst erzeugte Regung warf derart sichtbare Wellen in meinem Energiefeld, als würde ein Stein über einen stillen See schlittern und viele Wellenkreise auf der Wasseroberfläche hinterlassen.
Ausgesprochen stark spürte ich, dass das Feld wie mein Wesen keinem „Ich“, sondern einem „Es“ gehörte. Da ich selber keine Gefühle erzeugte, ging ich davon aus, dass alle Regungen vom „Großen Ganzen“ gesteuert wurden. Schon die kleinste Veränderung im Energiefeld ließ meine Ohren gen Himmel aufhorchen. Meine Aufmerksamkeit lag nicht auf den Details, sondern auf deren Hintergrund. Dabei erfasste meine weite, allumfassende Einstellung alles Wahrgenommene als Gesamteindruck.
Kurz vor meinem dritten Geburtstag wurde mein „Ich” auf die Probe gestellt. Es galt, sich in jeder Lage auf das universelle Prinzip auszurichten und seinem Willen zu folgen. Deutlich konnte ich wahrnehmen, dass in der physischen Welt demnächst eine Aufgabe an mich gestellt wurde, die nicht mit der „Umfassenden Ordnung“ übereinstimmte. Mutter war der Auslöser dafür, als sie erneut am Tisch saß und weinte. Sie teilte uns wieder ihre Sorge mit, uns nur schwer über die Runden bringen zu können. Meine süße Schwester fühlte in der ungewissen Situation mit ihr und heftete sich tröstend an sie. An ihrem Ärmel zupfend, beteuerte sie immer wieder, dass sie helfen könne. Da Mutter nicht reagierte, kramte sie tief in ihren Taschen, holte eine Scheibe Brot und ein paar Bonbons hervor, die sie zum Beweis auf den Tisch kullern ließ. Ihre Aussage bestärkte sie noch keck mit den Worten: „Kann davon mehr besorgen!“ Mutter staunte nicht schlecht und genau in diesem Moment zog sich mein Schwesterherz auf ihren Schoß. Von ihr umklammert, fischte Mutter derweil nach ihrem Portemonnaie und ließ ein paar Münzen zu den bunten Bonbons und dem Brotstück fallen. In niedergeschlagenem Ton äußerte sie, dass sie das Geld eigentlich bräuchte. „Ja, das kenne ich. Davon kann ich Dir auch bringen“, versicherte ihr die eifrige Tochter. Mutter hätschelte meine Schwester noch ein wenig und schob sie dann mit einem belustigten Lächeln von ihren Beinen, um ihre nächtlichen Runden zu drehen. Da wurde mir klar, warum die Kleine trotz der wenigen Nahrung immer noch volle Backen hatte: Sie musste irgendwo da draußen Freunde gefunden haben, die sie bereitwillig fütterten und tagsüber aufnahmen.
Ihr Angebot meinte sie tatsächlich ernst und schon am nächsten Abend rollten weitere Bonbons über die Tischplatte. Eine angeknabberte Brotrinde und ein paar Münzen gesellten sich hinzu. Als Belohnung erntete sie ein paar Minuten vollste Aufmerksamkeit. Während ich dieses Schauspiel beobachtete, kroch Gänsehaut über meinen Körper. So ein durchdringendes Gefühl hatte ich noch nie verspürt, da ich keine eigenen Regungen in meiner Körperschaft kannte. Was auch immer da geschah oder noch kommen sollte, verhieß nichts Gutes. Eine dunkle Ahnung flüsterte mir zu, dass die beobachtete Situation nicht mit den Richtlinien des “All-Einen” übereinstimmen konnte. Obwohl nicht ersichtlich war, was dieses konstante Unbehagen auslöste, spürte ich deutlich, dass ich mich konsequent an das übergeordnete Gesetz halten musste. Für mich war klar: Das Körpergefühl stellte eine Ermahnung dar, die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Lenkung des „Universellen Prinzips” zu richten.
Schon komisch, dass mich nach diesem Vorfall die körperliche Unruhe nicht mehr in Ruhe ließ. Merkwürdige Gedanken tauchten plötzlich aus dem Nichts auf: „Die Quelle meines Ursprungs ist nicht meine Mutter. Meine wirkliche Brutstätte und Herkunft stellt in Wirklichkeit die „All-Seiende Präsenz” dar, der ich ungeteilt folgen werde!“ Sogleich bekräftigte ich diese Aussage und versprach mir selbst, den kommenden Hinweisen zu folgen. Wie hätte es anders sein können: In Wirklichkeit lebte ich immer in diesem bezaubernden Feld und nicht in der Welt der Erscheinungen. Die höher gestellten Gesetze und ihre Pflichten standen mir somit näher als das, was von der Außenwelt gefordert wurde. Mein ganzes Wesen trachtete einzig und allein danach, sich voll und ganz in diesen übergeordneten Willen einzufügen.
Dies sollte jedoch kein leichtes Spiel werden. Tatsächlich stand ich mit meinem Treueschwur vor einer echten Herausforderung. Es kam, wie es kommen musste: Am dritten Tag der abendlichen Bescherung hatte Mutter plötzlich die zündende Idee, auch mich in den neuen Ernährungsplan einzubinden. Sie verlangte, dass ich es meiner jüngeren Schwester gleichtun sollte, um aktiv zum Familienunterhalt beizutragen. Eine extreme Unruhe befiel mich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was dafür getan werden musste. Bislang war ich noch nie ungehorsam oder aufmüpfig gewesen, aber ich spürte deutlich, dass ich dieser Aufforderung nicht nachkommen konnte. Mein Herz und mein ganzes Wesen waren dem „Großen Einen“ verschrieben und ich musste allen Mut zusammennehmen, mich Mutter gegenüber zu verweigern. Nicht aus Angst vor dem Unbekannten, sondern aus dem klaren Gefühl heraus, genau das mit meinem ganzen Wesen tun zu müssen.
Um mich Mutter erstmals nicht zu gehorchen, mussten erst noch die passenden Worte gefunden werden. Da mein Energiefeld leer von Worten war, gestaltete sich das ziemlich aufwändig. Um eine Antwort zu geben, blickte ich ins leere Bewusstseinsfeld, um die Silben außerhalb von mir an einem Punkt aufzubauen. Einmal konstruiert, zog ich die Inhalte aus dem Bewusstseinsfeld zu mir heran, um sie über den Geist und dann den Verstand auf die Körperschaft zu bringen. So musste ich die tonlosen Silben zur Übersetzung nur noch mit Klängen versetzen, um ihnen dadurch hörbaren Ausdruck zu verleihen. Der ganze Prozess fühlte sich mechanisch an und musste willentlich vollzogen werden. Zudem kostete der Vorgang Energie und trübte mein Bewusstseinsfeld mit unsichtbaren Fremdkörpern, die mein klares Sichtfeld wie Schleier verhüllten. Bereits unausgesprochene Gedanken hinterließen darin Abdrücke und hingen noch eine Weile nach, bis sie wieder verblassten. Das passierte jedes Mal, wenn ich angehalten wurde, zu etwas Stellung zu beziehen. Sprechen und Denken fühlte sich für mein Wesen daher extrem unnatürlich an. Deshalb zog ich es stets vor, nur zu nicken und mich schon gar nicht gedanklich in Situationen hinein zu begeben. Stets ging damit ein Hinausgehen meiner selbst einher, das ich in meinem Seinszustand tunlichst vermied. Doch in diesem Moment hatte ich keine andere Wahl und erklärte in kurzen Worten meine Ablehnung. Trotz meiner Liebe zu ihr konnte ich ihrem Willen nicht folgen, da alle Signale in mir deutlich in die entgegengesetzte Richtung wiesen. Für meine Überzeugungen musste ich einstehen. Das Gefühl der Unruhe fiel in dem Moment von mir ab und das Energiebild wurde sofort klar, nachdem ich meine Verweigerung ausgesprochen hatte.